Untertagemusik Nr.3, Presse-Information

1) Info-Text:

Frank Niehusmann sammelt Klänge und Geräusche aller Art und besitzt u.a. ein umfangreiches Archiv von Tonaufnahmen, die aus ca. 1000 Metern Tiefe von Arbeitsplätzen im Steinkohle-Bergbau an der Ruhr stammen: Abbauhämmer, Ankerschießen, Anschläger, Fahrkorb, Funksprüche, Hobel, Kettenhund, Lore, Lutten, Pumpensumpf, Schildvortrieb, Streckenkühler, Transportband, Wagenkipper, Walzenlader u.a. – die ganze Sinfonie der Arbeit unter Tage. Teile dieses Klangmaterials sind in vielen seiner Werke zu hören, insbesondere in der Werkgruppe „Untertagemusik“:

„Untertagemusik Nr. 3“ ist ein audiovisuelles Konzert für elektroakustisches Schlagzeug und Video-Projektion.

Nicht aus Nostalgie sondern wegen ihrer außerordentlichen Ästhetik hat Frank Niehusmann den Sound der Untertagewelt des Bergbaus in Tondokumenten gesammelt und damit sein elektronisches Schlagzeug programmiert. Der studierte Philosoph ist gebürtiger Essener und begann schon 1978 mit ersten elektroakustischen Klang-Experimenten, arbeitete für Rundfunk und Fernsehen und war mit seinen Konzerten und Klanginstallationen in Europa, Asien und Amerika unterwegs. Seine „Untertagemusik Nr.3“ wird er selber als Elektro-Schlagwerker aufführen. Begleitet wird der brachial-sinfonische Untergrund-Sound von spektakulären Video-Projektionen aus dem einzigartigen Bergbau-Filmarchiv des Kameramanns Jochen Balke: Kamera-Fahrten und Dokumentar-Raritäten aus der Tiefe der Schachtanlagen unter der Ruhr. Der gebürtige Duisburger war als Kameramann in zahlreichen Zechen in Deutschland, Polen und China „vor Ort“. Film- und Fernsehproduktionen wie „Schicht im Schacht“, „Der lange Abschied von der Kohle“ oder „Quarks und Co.“ waren großenteils nur möglich dank der Aufnahmen seiner einzigartigen Spezialkameras.

Klangbeispiele und Informationen über Frank Niehusmanns Kompositionen im Rahmen seiner Werkgruppe „Untertagemusik“ sind einsehbar auf der Webseite https://www.niehusmann.org/untertagemusik

Anlässlich der WDR-Produktion von Untertagemusik Nr. 3 als Klangkunst-Sendung im Radioprogramm des Westdeutschen Rundfunks erklärte Frank Niehusmann auf Fragen der Journalistin und Moderatorin Stefanie Schrank zu seinem Werk:

„Elektronisches Schlagzeug“ heißt, daß mit jedem Schlag auf eine bestimmte Schlagfläche ein bestimmtes Geräusch, ein bestimmter Klang ausgelöst wird. Dafür sorgen der Computer und die Software, die hinter dem elektronischen Schlagzeug stecken. – Nachdem ich meine Klänge und Geräusche für so eine schlagzeugerische Spielweise entsprechend im Tonstudio zugerichtet und zurechtgeschnitten hatte, habe ich eine Partitur geschrieben, die für jede Spielminute sehr genau sagt, welche Klänge in welcher Reihenfolge zu spielen sind – und welche Freiheiten ich als Spieler beim spielen trotzdem noch habe. Mir war es in diesem Fall wichtig, das Werk freihändig, schlagzeugerisch spielend aufzunehmen, um aus dem Gestus und körperlichen Schwung des Schlagzeugers dem Ganzen einen spezifisch musikalischen Charakter mitzugeben …

Die überwiegende Menge dessen, was man in meiner Untertagemusik Nr. 3 an Klängen hört, stammt aus dem Jahr 1995: ich war damals im Bergwerk Friedrich Heinrich in Kamp-Lintfort zusammen mit einem Kollegen einen ganzen Tag lang untertage in etwa 1000 Metern Tiefe, um Tonaufnahmen zumachen. Gut bewacht, beaufsichtigt und angeleitet von einem Sicherheits-Steiger konnten wir damals alles aufnehmen, was uns vors Mikrofon kam. Und wenn man dann erstmal zu den wenigen Personen gehört, die überhaupt über nennenswerte Klänge von untertage verfügen, dann kommt man im Laufe der Jahre natürlich mit Gleichgesinnten und Kollegen, auch Filmemachern oder Archivaren ins Gespräch, die auch solche Aufnahmen haben. Und so kommen dann nach und nach noch ein paar Klang-Geschenke und Zugaben durch Tauschaktionen dazu, die dann auch aus anderen Jahrzehnten – früheren oder späteren – stammen …

Mich interessieren diese Klänge und Geräusche als musikalische Ereignisse, als ästhetische Objekte. Ich bin eben kein Historiker, kein Bergbau-Soziologe, kein Maschinenbau-Ingenieur. Es gibt daher in meiner Komposition also keinen systematisch-technischen oder historischen Zusammenhang zwischen den Geräuschen, sondern nur den musikalisch äthetischen des Komponisten. Man muß aber dazu sagen: es ist ja auch untertage in Wirklichkeit meistens so gewesen, daß immer unglaublich vieles gleichzeitig stattfand. Während am einen Ort alte Maschinen noch ihre Restlaufzeit absolviert haben, wurden ganz in der Nähe schon neueste Apparate installiert, das war ein kontinuierlicher technischer Innovationsprozeß – und man hörte viele Klänge gleichzeitig, deren Verursacher, also Maschinen, sehr unterschiedliche Baujahre hatten. Und diese monumentale, tumulthafte, sinfonisch-panoramahafte Gleichzeitigkeit unterschiedlichster Tätigkeiten und Baujahre, Klänge und Geräusche hat mich da unten damals sehr fasziniert und war auch jetzt wieder Leitgedanke bei der Komposition …

Bevor ich diese Untertagemusik Nr. 3 angefangen habe, gab es bereits eine Untertagemusik Nr. 1 für eine Performance mit klassischen Tonband-Maschinen. Danach gab es eine Untertagemusik Nr. 2, die ich für mehrere CDs und DVDs komponiert habe, die als audiovisuelle Endlos-Schleife in einem großen Kino-Saal präsentiert wurde.

Mein Wunsch, die Untertagemusik Nr. 3 jetzt mit einem elektronischen Schlagzeug zu realisieren, kam aus meiner Erfahrung als Komponist, daß die Gestik und die Körperlichkeit des Schlagzeugspielens zu einem eigenen Ablauf und Rhythmus der Klänge führt: eben anders als wenn ich sie auf einer Klaviatur oder Computertastatur spiele. Ich wollte also unbedingt diese bizarren und brachialen Geräusche, diese Klänge von Metal, Gestein, Luft und Wasser – dieses Rauschen, Knallen und Scheppern – einmal trommeln dürfen. Das physische Schlagen der Klänge erzeugt nach meiner Wahrnehmung einfach eine eigene musikalische Charakteristik im Gegensatz zu anderen, pianistischen oder Bildschirm-orientierten Spielformen …

Ich bin ja gebürtiger Essener und also sowas wie ein Ureinwohner des Ruhrgebiets. Industrie- und Maschinenklänge sind für mich daher sowas wie eine Art Heimatmusik. Und speziell die Klänge aus der Untertagewelt des Bergbaus haben mich deshalb so fasziniert, weil mir immer schon klar war: das geht da unten nicht ewig so weiter, eines Tages ist da Schluß – und dann gibt’s alle diese Klänge nie wieder. Also die Idee, Klänge zur Verfügung zu haben, die aus einer zuende-gehenden Zeit, aus einer untergehenden Welt stammen, war für mich fasznierend und machte sie mir wertvoll. Und jetzt mit dem Ende des Kohlebergbaus geht das ja in Erfüllung: wir haben hier Klänge, die man nie wieder aufzeichen kann …

2) Fotos:

Click aufs Vorschaubild öffnet die Original-Datei für den Download …

Frank Niehusmann, Foto: Guntram Walter
Frank Niehusmann, Foto: Coupeuse Meier
Frank Niehusmann, Foto: Gabriele Hammelmann
Untertagemusik Nr.3, Foto (Hobel): Jochen Balke
Untertagemusik Nr. 3, Video-Bild: Jochen Balke
Untertagemusik Nr. 3, Video-Bild: Jochen Balke
Untertagemusik Nr. 3, Video-Bild: Jochen Balke
Untertagemusik Nr. 3, Video-Bild: Jochen Balke
Untertagemusik Nr. 3, Video-Bild: Jochen Balke
Untertagemusik Nr. 3, Video-Bild: Jochen Balke
Untertagemusik Nr.3, Konzert-Foto: André Symann
Untertagemusik Nr.3, Konzert-Foto: André Symann
Untertagemusik Nr.3, Konzert-Foto: André Symann
Untertagemusik Nr.3, Konzert-Foto: André Symann